Vor wenigen Tagen habe ich einem befreundeten Journalisten um seine Meinung gebeten in Bezug auf die vielen extrem unterschiedlichen Meinungen von Experten, was den öffentlichen Umgang mit dem Corona-Virus betrifft.
Da ich diesen Mann gut kenne und seine Meinung sehr schätze, gebe ich nun hier mit seinem Einverständnis sein Mail wieder, in der Hoffnung, dass es den einen oder anderen bei der eigenen Meinungsfindung weiter hilft.
Hier kommt das Mail:
Liebe Nancy,
ein paar Überlegungen zu Deinen Fragen: Zugegeben, auch nach meiner Einschätzung gibt es ganz sicher Übertreibungen in Zusammenhang mit dem Virus – nicht zuletzt in den Medien. Auch teile ich die Meinung, dass Skeptiker in Presse, Funk und Fernsehen unterrepräsentiert sind. Man findet sie vor allem im Internet – dort allerdings meist auf Seiten, die tendenziell zu Verschwörungstheorien neigen. Wobei offen ist, ob die Skeptiker (unter ihnen sind ja durchaus angesehene Virologen) sich dort veröffentlicht sehen wollen, oder ob die Betreiber dieser oftmals dubiosen Homepages begierig alles aufsaugen, was ihre Anti-Mainstream-Thesen stützt, ebenso die Mär von der Lügenpresse.
Und nun mein großes „Aber“:
Niemals seit dem zweiten Weltkrieg hat es in der westlichen bzw. hochindustrialisierten Welt in Friedenszeiten so viele Todesopfer in solch kurzer Zeit mit einer (Haupt-)Todesursache gegeben: Mit Stand heute Abend zusammen über 20.000 Tote in Italien und Spanien, über eintausend Tote in New York City binnen weniger Tage – um nur zwei Beispiele zu nennen. Diese Opfer sind allesamt (bzw. ganz sicher fast alle) am Virus bzw. an der daraus resultierenden Lungenkrankheit Covid-19 gestorben.
Daher bin ich der festen Überzeugung: Hier ist keine Panikmache am Werk, die Gefahr ist gegeben, das Virus bzw. die Pandemie ist hochgefährlich.
Und wir stehen erst am Anfang: In Afrika geht es langsam los, ebenso in Indien mit seiner Bevölkerung von allein über einer Milliarde Menschen. Und welch Horror, wenn das Virus buchstäblich durch die riesigen Flüchtlingslager fegen wird. Dort sind alle schutzlos…
Das Tempo des Virus ist atemberaubend: Am 1. März hatten die USA laut Johns-Hopkins-Universiät in Baltimore (derzeit weltweit der “Goldstandard” für diese Zahlen) 74 Infizierte (vierundsiebzig!), nun, am 1. April, sind es über 190.000 (und wer weiß, wie hoch die Dunkelziffer ist!?). Und dies in einem der reichsten Länder der Welt, das – bei allen bekannten Defiziten – ein Gesundheitssystem hat, das denjenigen in der Dritten Welt sicher weit überlegen ist.
Kritiker bzw. Skeptiker werfen gerne ein: Viele Opfer seien nicht an Corona gestorben bzw. „nicht nur“ an Corona, sondern an der Kombination aus (meist altersbedingten) Vorerkrankungen und dem Virus, das dann den Tod beschleunigt habe. Da heißt es dann schnell: „Ganz normale Grippe-Epidemie“…
Diese Argumentation mit den nicht monokausalen Todesfällen mag in vielen Fällen ja zutreffen, aber ich halte sie für hoch gefährlich, weil sie meist instrumentalisiert wird und dann ganz schnell inhuman (und, da wirst Du mir recht geben: zutiefst unchristlich) ist: Denn flugs sagen Skeptiker in diesem Zusammenhang sehr häufig, „die wären doch sowieso bald gestorben, die meisten Opfer sind eh hochbetagt…“ etc. pp. – Solch eine Sichtweise ist m.E. absolut inakzeptabel.
Akzeptabel – weil tatsächlich alternativlos – ist nur die sog. Triage, wenn also Ärzte zu wenig Beatmungsgeräte für zu viele Patienten haben – und dann auswählen müssen, wer überleben soll und wer nicht. Allein, dass es in Friedenszeiten zu dieser schrecklichen Herausforderung für Mediziner kommt, zeigt (s.o.) die Dramatik dieser historisch einmaligen Situation, also die Bedrohung durch das Virus.
Typischerweise kommen im Zusammenhang mit der Skepsis reflexartig die üblichen Vorwürfe (meist von ganz weit rechts im politischen Spektrum), wonach „dunkle Mächte“ uns regieren, drangsalieren, betrügen, manipulieren usw. Gerne genannt werden da die Politik (Abbau der demokratischen Grundrechte, Hinwendung zur Diktatur) oder die Wirtschaft (die Pharma-Industrie will Geld verdienen, irgendein Land hat das Virus „gezüchtet“, um die Weltherrschaft an sich zu reißen) – das alles finde ich ehrlich gesagt absolut unglaubwürdig und furchtbar billig.
Die Politik macht sicher viele Fehler (alles nur Menschen…), die (kapitalistische) Wirtschaft sucht stets und oftmals rücksichtslos ihren materiellen Vorteil – aber was über diese Grundannahmen hinausreicht, halte ich für Blödsinn, den Verschwörungstheoretiker sich ausdenken. (Interessant, und offenbar keine Verschwörungstheorie: Es gibt Vermutungen – und da ist immerhin unser Außenministerium die Quelle – das von Moskau gelenkte Leute ganz gezielt die westliche Welt via Internet auch im Fall von Corona mit Falschmeldungen zu verunsichern suchen, um hier Panik zu schüren bzw. die Verunsicherung der Bevölkerung zu steigern.)
Abschließend noch einmal zurück zu meiner Zunft: Ich vermute sehr stark (ohne es 100-prozentig zu wissen), dass die Medien die Skeptiker vor allem deswegen wenig zu Wort kommen lassen, weil deren (Außenseiter-)Thesen viele Menschen ganz schnell dazu verführen würden, die Warnungen der allermeisten Experten – und damit verbunden die Zwangsmaßnahmen der Politik, sprich die Einschränkungen unserer Freiheit etc. – nicht ernst zu nehmen.
Das kann man eine „freiwillige Beschneidung“ der Meinungsfreiheit auf dem Wege der Selbstzensur nennen, aber es geschieht (falls meine Vermutung denn zutrifft) sozusagen aus übergeordnetem Interesse – sprich: dem Schutz der Bevölkerung. Und daher halte ich es auch für legitim.
Dazu ein Beispiel: Unsere Politiker haben spät, aber glücklicherweise nicht zu spät gehandelt – anders die amerikanische Heimsuchung namens Donald Trump: Der hat das Thema über Wochen und bis vor wenigen Tagen klein geredet, hat sich sogar über die vermeintliche Corona-Hysterie in der „alten Welt“ lustig gemacht, was bei den allermeisten seiner Landsleute gut ankam, und von der US-Presse 1:1 so wiedergegeben wurde. Nun rollt der Corona-Tsunami über die USA hinweg. (…)
Viele liebe Grüße an Dich und deine Männer
von
M.